Kippt das Bundesverfassungsgericht den notariell vereinbarten Unterhaltsverzicht?

In den allgemeinen Medienberichten ging eine Entscheidung im Zuge der zahllosen Nachrich­ten zu dem Thema „Zahlungsunwillige Väter Unterhalt" vollkommen unter, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.2.2001. Diese regelte die Frage nach der Zulässigkeit eines Unterhaltsausschlusses im Rahmen eines Ehevertrags für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung.

Der folgende Artikel stellt diese Entschei­dung vor und fragt nach den Konsequenzen, die sich hieraus für die Regelbarkeit von Unter­haltsausschlüssen ergeben. Ausgangspunkt bildet die Frage, inwieweit die Ehepartner im Rahmen eines Ehe- oder auch Scheidungs­folgenvertrags den Unterhalt für die Dauer der Kindererziehung durch einen Partner allein ent­sprechend § 1570 BGB nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ausschließen können.

Das Urteil vom 6.2.2001 (Az.: 1 BvR 12/92, Pressemitteilung 19/2001 unter www.Bundesverfassungsgericht.de) hob eine Ent­scheidung des OLG Stuttgart aus dem Jahre 1992 auf, die einen Verzicht auf den Nach­ehelichenunterhalt für die geschiedene Ehefrau zuließ, der in einem notariellen Vertrag aus dem Jahre 1976 geregelt war. Ausgangspunkt war u.a. die Frage nach der Wirksamkeit des nota­riell vereinbarten Unterhaltsverzichts.

Die Ehepartner vereinbarten zum Zeitpunkt der Eheschließung für die damals schwangere Ehefrau einen Verzicht auf den Nachehelichenunterhalt. Ebenso die Freistellung des über eine Grenze von DM 150,00 liegenden monatlichen Kindesunterhalts. Nach der Scheidung verurteil­te das Amtsgericht den Vater zunächst zu der Zahlung eines über diesen Betrag hinausgehen­den Unterhalts. Das OLG Stuttgart stellte den Kindesvater von Unterhaltsansprüchen in dem vertraglich vereinbarten Rahmen frei. Hiergegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde der Ehefrau.

Der Ansatz für diese Entscheidung war die Frage nach der Vereinbarkeit der vertraglich vereinbarten Freistellung des Vaters von dem Kindesunterhalt mit dem Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung nach Art. 6 II GG und dem Schutz der Mutter nach Art. 6 IV GG. Diese standen der allgemeinen Privatautonomie und damit der Vertragsfreiheit nach Art. 2 I GG ge­genüber. Der Schwerpunkt der Entscheidung lag inhaltlich bei der Frage nach der Wirksamkeit des Verzichts auf den Nachehelichenunterhalt. Für den unterhaltspflichtigen Betroffenen sind die hierin formulierten Anforderungen für die ver­tragliche Vereinbarung eines Unterhaltsverzichts entscheidend, die sich künftig an diesen Maß­stäben werden messen müssen. Unklar ist auch die Frage nach der Übertragbarkeit dieser Grundsätze für andere Ehepartner, bei denen die Ehefrau zum Zeitpunkt des Unterhaltsver­zichts noch nicht schwanger war. Ebenso auch die Frage nach der Wirksamkeit bereits verein­barter Unterhaltsausschlüsse.

Hauptansatz ist die Klärung der Vorausset­zungen für die Annahme der uneingeschränkten Vertragsfreiheit und damit der Abschlussfreiheit für einen Unterhaltsverzicht. Das BVerfG respek­tiert zunächst die Freiheit der Vertragspartner zum Zeitpunkt des Abschlusses eines Ehever­trags. Die Gerichte müssen zunächst Verein­barungen respektieren, die die Ehepartner im Zuge von Eheschließung oder Trennung und Scheidung vereinbaren, sofern diese auf einen sachgerechten Interessenausgleich zielen. Ge­genstand dieses Interessenausgleichs ist nach der Lesart des BVerfG die Frage nach der Ver­teilung der Lasten und Pflichten bei Gründung einer Familie, also bei Geburt eines Kindes. Nur wenn keine einseitige Lastenverteilung zum Nachteil eines Partners, hier der Ehefrau, vor­liegt, ist für diesen die für einen Vertragsschluss notwendige Selbstbestimmung gewährleistet. Bei einer ungleichen Verhandlungsposition ist dieses nicht mehr gewährleistet, so dass der Staat regulierend in diese Entscheidung eingrei­fen muss. Präzise formuliert heißt dies, sobald ein Partner zum Zeitpunkt des Vertragsschlus­ses bereits schwanger war, liegt bereits auch ein Verhandlungsungleichgewicht zum Nachteil der Ehefrau vor. Ein in dieser Situation vereinbarter Unterhaltsverzicht spiegelt die Dominanz des anderen Ehepartners, also des Ehemannes, wieder mit der Folge, dass der Vertrag selbst auf seine Vereinbarkeit mit Art. 6 II und IV GG zu prüfen ist.

Bereits an dieser Stelle sei die Frage erlaubt, ob diese Ausgangssituation nicht auch zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei einem Scheidungsfolgenvertrag vorliegt, bei dem er­sichtlich ist, dass die Ehefrau sich weiter allein um die Kinder kümmert und der Ehemann seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen kann.

Auch hierzu äußert sich diese Entscheidung. War zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein Partner bereits schwanger, ist von einer wirtschaftlichen Unterlegenheit der Ehefrau auszugehen, die in der weiteren Folge auf die Mög­lichkeit der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit verzichtet, um sich der Kindererziehung zu wid­men. Das BVerfG führt hierzu aus: „Eine Situation von Unterlegenheit ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine nicht verheiratete Frau schwanger ist und sich vor die Alternative gestellt sieht, in Zukunft entweder allein für das zu erwartende Kind Sorge zu tragen oder durch Eheschließung den Vater in die Verantwortung einzubinden. Sie muss ihre Lebensführung und Lebensplanung umstellen; neue Aufgaben, Pflichten und Ver­antwortung entstehen. Gerade bei unverheirate­ten Müttern geht dies häufig mit dem Scheitern der Beziehung mit dem Vater einher. Hinzu kommt für die nicht verheiratete Schwangere die Gewissheit, die alleinige Verantwortung und Sorge für das Kind tragen zu müssen. Ist der

Vater hierzu nicht bereit, bleibt sie allein für das Kind verantwortlich".

Diese Ausführungen lassen darauf schließen, dass von dieser Entscheidung zunächst nur un­mittelbare Folgerungen auf Vereinbarungen von noch nicht verheirateten Ehepartner zu erwarten sind. Die o.g. Grundsätze werden jedoch in der weiteren Begründung zugespitzt und sind auch auf verheiratete Ehepartner übertragbar, die einen Scheidungsfolgenvertrag schließen. Das BVerfG richtet sein Augenmerk vor allem auf die ökonomische Seite der Ehepartner. Die Schwangere erfährt oft eine Reduzierung ihrer Einkünfte. Dieses ist jedoch auch bei Ehepartnern der Fall, die auf Grund der Kindererziehung am Existenzminimum selbst bei durchschnitt­lichen Einkünften leben müssen. Laut obiger Entscheidung kann jedoch auch ein ökonomisches Ungleichgewicht der Ehepartner bereits in der Ehezeit eintreten, sofern sich die Kindesmutter einseitig um die Kindererziehung im Rahmen der sog. Hausfrauenehe kümmert. In diesen Fallkonstellationen leben die Ehepartner bereits am Rande des Existenzminimums, da in diesen Fällen nur ein Einkommen zur beider­seitigen Verfügung steht. Die Entscheidung berücksichtigt die Gefahr der Reduzierung des Einkommens der Ehefrau, wenn diese ausführt, dass neben der Schwangerschaft ein weiteres Indiz für ein wirtschaftliches Ungleichgewicht und damit für ein Verhandlungsungleichgewicht die Vermögenslage, die berufliche Qualifikation und die Perspektive der Kindesmutter neben der künftigen Verteilung der Aufgaben in dem gemeinsam zu führenden Haushalt sein wird. Umgekehrt ist diese nur auszuschließen, wenn die Kindesmutter während der Phase der Kin­dererziehung ebenfalls einer beruflichen Tätig­keit nachgeht und auch der Kindesvater sich um die Pflege und Erziehung der Kinder kümmert und diese entlastet. Ein Modell, dass immer noch nicht durchsetzbar erscheint.

Sofern die nach wie vor bestehende Si­tuation der Hausfrauenehe eine wirtschaftliche Unterlegenheit der Ehefrau vertieft, liegt auch deren Schutzbedürftigkeit vor. In der Regel ist bei einer einseitigen Zuteilung der Aufgabe der Kindererziehung während der Ehezeit an die Kindesmutter bei einem vertraglichen Verzicht auf den nachehelichen Unterhalt auf eine Benachteiligung im obigen Sinne zu schließen. Dieser Verzicht verletzt die Ehefrau in ihren Rechten auf besonderen Schutz als Mutter nach Art. 6 IV GG und damit auch der Kindesinteres­sen nach Art. 6 II GG.

Für den gegenseitigen Verzicht ist auch nur auf Seiten der Frau von einer Benachteiligung auszugehen, sofern diese für den Fall der Schei­dung die alleinige Sorge für das gemeinsame Kind tragen soll und in der Regel auch nicht damit rechnen kann, ihre Einkommenslage aus eigener Kraft zu verbessern. Im Gegensatz hierzu wird der Mann nicht durch diesen Verzicht benachteiligt, da ihm diese Möglichkeit immer offen steht.

Hinsichtlich der Einschränkung des Kindesunterhalts führt das BVerfG aus, eine Beschränkung beeinträchtige den Schutz des Kindes, so- fern durch eine Einschränkung des Unterhalts eine entsprechende Betreuung und ein an­gemessener Unterhalt nicht gewährleistet ist. Der Unterhaltsanspruch des Kindes richtet sich nach dem Leistungsvermögen des Unterhalts­pflichtigen und dem Bedürfnis des Kindes. Nur wenn dem sorgenden Elternteil ein Einkommen verbleibt, das den angemessenen Lebensunter­halt des Kindes, den eigenen Unterhalt und die Betreuungskosten deckt, ist eine Beeinträch­tigung der Kindesinteressen nach Art. 6 II GG auszuschließen. Für die Zukunft ist bei der Ver­einbarung eines Verzichts auf den nachehelichen Unterhalt im Rahmen des § 1570 BGB auch die Frage nach der ausreichenden wirt­schaftlichen Absicherung der Kindesmutter zu beachten. Es gilt, hierfür entsprechende Vor­gaben an einen notariellen Unterhaltsverzicht zu formulieren.

Bemerkenswert an dieser Passage ist die Erweiterung der Zielrichtung des Kindesunter­halts auf den Unterhaltsanspruch des geschie­denen betreuenden Ehepartners, war doch der Begriff des Kindesunterhalts bisher allein von dem Betreuungsbedarf weitestgehend definiert und eingegrenzt. Die Frage bleibt, inwieweit hierbei eine Ungenauigkeit des BverfG vorliegt oder diese bewusst in die Begründung mit- einbezogen und damit der Begriff des Kindesunterhalts erweitert wurde.

Diese zugegeben sehr theoretisch anmutenden Erklärungsmodelle der Entscheidung vom 6.2.2001 sollen doch auf die Gefahr für künftige Regelungen hinweisen, bei denen ein Unterhaltsverzicht vereinbart werden sollte. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese noch wirksam vereinbart werden können und dürfen. Zunächst sind die Betroffenen zu einer genauen Analyse ihrer ökonomischen Situation aufgefordert. In der großen Mehrzahl der Ehen ist immer noch von einer einseitigen Erwerbstätigkeit eines Ehe­partners auszugehen. In all diesen Fällen dürfte nach den o.g. schwammigen Erläuterungen des BVerfG kein Unterhaltsverzicht mehr vereinbart werden, da in der ersten Stufe der Prüfung von einem Verhandlungsungleichgewicht auszuge­hen ist. Erst in der zweiten Stufe, der inhaltlichen Prüfung des Vertrages, kann dessen Übereinstimmung mit den gesetzlichen Regelungen er­folgen. Bisher war nur diese Prüfung notwendig. Bisher bestand lediglich im Rahmen des § 242 BGB die Einschränkung, dass der Unterhaltsverzicht sich zum Nachteil der Kinder auswirken dürfte, so für den Unterhalt für Zeiten der Kindererziehung nach § 1570 BGB. War dieser entsprechend den Vorgaben der Düsseldorfer Tabelle abgesichert, konnte ein Unterhaltsver­zicht vereinbart werden. Maßstab war, dass die Betreuungsbedürftigkeit des von dem anderen Ehepartner betreuten gemeinsamen ehelichen Kindes den Bestand der Unterhaltspflicht erfor­derte (vgl. BGH NJW 1995, 717. 1148 und OLG Düsseldorf, FamRZ 1996, 734, Palandt-Brudermüller, § 1585 c BGB Rdnr. 19 ff). War dieser Betreuungsbedarf ausreichend abgedeckt, der allein auf den Bedarf für das Kind abstellte, konnte der Unterhalt für die geschiedene Ehe­frau zumindest zeitlich oder in der Höhe be­grenzt werden. Zumindest konnte vereinbart werden, dass nur der notwendige Unterhalt für den betreuenden Elternteil geschuldet ist. Ist also zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzusehen, dass ein Partner allein sich um die Pflege und Erziehung des Kindes kümmert, das bei ihm leben soll und war dieses anhand der Aufgabenverteilung in der Ehezeit auch abzusehen, hält nach den Vorgaben des Bundes­verfassungsgerichts der notarielle Unterhaltsverzicht einer gerichtlichen Über­prüfung im obigen Sinne künftig nicht mehr stand. Ein Unterhaltsverzicht ist damit nicht mehr möglich. Allein die Frage nach der Dauer der Unterhaltsverpflichtung bleibt regelbar. Bis zu einem Alter von ca. 10 bis 12 Jahren je nach Entwicklungsstand des jüngsten Kindes ist eine Teilzeittätigkeit zumutbar. Ab dem 14. bzw. 15. Lebensjahr des jüngsten Kindes auch eine Vollzeittätigkeit.

In der Folge bedeutet diese Entscheidung eine Ausdehnung der Unterhaltspflichten des Vaters gegenüber der Ehefrau  unabhängig von der noch bestehenden theoretischen Möglichkeit eines Unterhaltsverzichts im Rahmen des nachehelichen Unterhalts. Diese Entscheidung betrifft zwar nur den Ehevertrag noch nicht miteinander verheirateter Partner, enthält jedoch Begründungslinien, die erst recht auf bereits verheiratete Ehepartner Anwendung finden kön­nen, sofern diese die Frage nach der Aufteilung der Erziehung und der Erwerbstätigkeit nicht miteinander geregelt haben und noch dem klassischen Modell der Zuordnung eines Bei­trags an einen Ehepartner festhalten.

Für den Erhalt der vertraglichen Einschränkung des Unterhalts an die geschiedene Ehefrau muss in Zukunft daher auch verstärkt nach den Rahmenbedingungen gefragt werden, unter denen eine partnerschaftliche Ehe geführt werden kann, soll der Verzicht auf den Nachehelichenunterhalt Bestand haben. Erst bei der Herstellung auch einer wirtschaftlichen Gleichstellung der Beiträge und beiderseitigen Zuordnung an beide Ehepartner und damit einer gleichen Verhandlungsbasis ist ein Unterhalts­verzicht auch künftig regelbar und hält auch ge­genüber einer gerichtlichen Überprüfung stand. Dieses erfordert auch ein Nachdenken über das Partnerschaftsmodell, ohne das ein Ehe- oder Scheidungsfolgenvertrag in Zukunft angesichts dieser Vorgaben nicht mehr auskommen wird. Die Ehepartner müssen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Überlegungen nach der Auf­teilung der einzelnen Beiträge anstellen. Dieses wäre allerdings auch eine Aufgabe des Verban­des für die Zukunft. Ansätze sind in der Diskus­sion bereits vorhanden, diese müssen nur aus­gebaut und verbessert werden. Die Entschei­dung setzt der bisherigen Praxis klare Grenzen und formuliert Hürden, an denen sich jeder Unterhaltsverzicht wird messen müssen. Zu beachten ist angesichts einer zunehmenden Verarmung und Überschuldung vieler Haushalte die Frage nach der wirtschaftlichen Ausgangs­situation beider Ehepartner. Dieser Beitrag soll daher der verbandsinternen Diskussion zu dem Thema Ehemodell und Ehevertragsmodell dienen bzw. diese wieder in Gang setzen. Der Autor vertritt die Auffassung, dass das bisherige Modell nach eingehender Prüfung der obigen Entscheidung obigen Kriterien angepasst und überarbeitet werden muss, sollte er eine Über­lebenschance haben. Die Brisanz dieser Ent­scheidung zeigt auch die lange Verfahrens­dauer, bei der das Ausgangsverfahren bereits aus den 70er Jahren datiert und auch zu der Unwirksamkeit vieler bereits geschlossener Eheverträge führen kann.

Rechtsanwalt Manfred Hanesch

Quelle: Report 88, Juni 2002/2, S. 10 ff